Klaus Evertz
Organisator des Symposium zum 80. Geburtstag von Ludwig Janus
Sehr geehrte Damen und Herren,
ich freue mich über Ihr Interesse an den Inhalten dieses Symposiums. Es war nicht nur eine schöne Geburtstagsfeier, sondern es war gleichzeitig eine Dokumentation der beträchtlichen Potenziale der Pränatalen Psychologie.
Darum habe ich mich entschlossen, die Inhalte des Symposiums auf einer Webseite allgemein zugänglich zu machen. Die Dokumentation ist nicht vollständig. Vielleicht treffen noch Beiträge ein und werden nachgeliefert.
Dabei ist jedoch zu beachten, dass es sich um mehr oder weniger ganz persönlich formulierte Beiträge handelt, die sich direkt auf die Zusammenarbeit mit dem Jubilar beziehen. Ich hoffe, dass Sie Anregungen aus den Beiträgen mitnehmen können.
Mit guten Wünschen
Klaus Evertz
Einführung (Klaus Evertz)
Lieber Lutz, liebe Festgäste,
wir sind hier im Hotel Molkenkur mit einer wunderbaren Übersicht über Heidelberg und die Neckarebene und wollen über die wunderbare psychische und psychodynamische Übersicht über das menschliche Schicksal, das Ludwig Janus uns in seiner Theorie „Homo foetalis et sapiens“ gegeben hat, sprechen. Es ist dies nicht nur nach meiner Einschätzung eine der wichtigsten Kulturtheorien unserer Zeit, wenn nicht die grundlegende und entscheidende. Zugleich ist diese Theorie die Grundlage für eine bio-psycho-soziale Medizin der Zukunft und damit auch eine neue theoretische Grundlegung für eine umfassende Psychosomatik, in der biologische Genetik und transgenerati-onale familiensystemische Psychologie/Psychotherapie ebenso vereint werden kann wie die Epigenetik der Schwangerschaft und die Pränatale Psychologie und schließlich die Neonatologie, Geburtshilfe und Perinatale Psychologie.
Wenn vielerorts die Angst geäußert wird, dass den Menschen durch die Digitalisierung die Arbeit verloren geht, sagt Ludwig Janus: Dann könnte doch endlich die eigentliche Arbeit erst beginnen, nämlich das Lernen von Bindung und Beziehung.
Lieber Lutz, wir möchten Dich als Arzt, als Therapeuten, als Wissenschaftler und als Lehrer würdigen und ehren und mit Dir zu Deinem 80. Geburtstag ein Fest feiern. Vielleicht ist es nicht so leicht für Dich auszuhalten, dass Du nun zwei Tage im Mittelpunkt stehst und Deine großartigen Leistungen als solche benannt werden.
Es hat Dich immer geehrt, wie Du alle Forscher und Therapeuten, die schon vor Dir an der Pränatalen Psychologie gearbeitet haben, wie auch die, die parallel daran arbeiteten, wie auch Deine vielen Schüler, immer genannt hast und Dich um wissenschaftliche Klarheit und Sortierung bemüht hast, statt in kleinlichen Konkurrenzen zu versinken. Deine Redlichkeit und Integrations-kraft, viele auch gegensätzliche Stimmen innerhalb und außerhalb der Pränatalen Psychologie immer wieder in den Dialog zu bringen, ist berühmt. Sie trug wesentlich dazu bei, dass die Pränatale Psychologie sich als wissenschaftliche Disziplin etablieren konnte und weiter etablieren wird.
Ich gehe soweit folgenden Vergleich zu wagen: ebenso wie Freud hat Janus es weder zu einer ordentlichen Professur noch zum Nobelpreis gebracht. Beide hätten meiner Ansicht nach beides nicht nur verdient, sondern auch zwingend bekommen müssen. Beide waren/sind aber sozusagen überqualifiziert und zweitens gibt es keinen Nobelpreis für Psychologie oder Humanwissenschaft, bisher.
Allerdings hatten sie beide durch diese Vorenthaltung den Vorteil, dass sie lebenslang all das sagen konnten, was sie sagen wollten. Sie wurden in ihrem Erkenntnisinteresse sozusagen nicht parfümiert. Die Geradlinigkeit und Authentizität der beiden Denker ist nicht früh in die Verführungen der öffentlichen Ämter und Preise geraten – als ob sie es gewusst hätten. Natürlich haben sie es gewusst und wissen es: unangenehme Wahrheiten brauchen mutige Männer und Frauen, die auch zunächst ohne besondere öffentliche Resonanz bei der Wahrheit bleiben.
Freud und Janus wollten bei der „Erforschung der urgewaltigen Triebmelodie bleiben“ statt aus der „Symphonie des Weltgeschehens nur ein paar kulturelle Obertöne heraushören“ (Freud).
Ohne Zweifel wage ich von der Kongenialität von Freud und Janus zu sprechen. So wie es keinen Nachfolger von Freud gab, der eine grundlegende Neuerung gebracht hätte, (V. von Weizsäcker: „….alle wesentlichen Entdeckungen und Erkenntnisse der Psychoanalyse sind ausschließlich auf Freud zurückzuführen…“), außer vielleicht Ferenczi, Rank und Reich, die aber aufgrund ihres relativ frühen Todes kein focussierendes und öffentlichkeits-wirksames Alterswerk hinterlassen konnten, so neu ist dann doch nun die konsequente Anwendung aller psychoanalytischen und der anderen psychotherapeutischen Erkenntnisse auf die Geburt und die vorgeburtliche Lebenszeit……und von dort wiederum der analytische Blick auf alle menschlichen Kulturleistungen. Das Todesjahr von Freud ist das Geburtsjahr von Janus!
Freud öffnete das menschliche Bewusstsein für den Zusammenhang der Erfahrungen des Menschen vom 2. bis 5. Lebensjahr mit seinen späteren Talenten, aber auch Störungen und Erkrankungen im Erwachsenenleben. Janus öffnet das menschliche Bewusstsein für den gesamten vorsprachlichen Erfahrungsraum vom 2. Lebensjahr zurück bis zur Konzeption und natürlich auch zu den systemischen und transgenerationalen Zusammenhängen. Freuds Neuerung war, dass die Patienten dem Arzt nicht nur erzählen dürfen, was sie wissen, sondern auch das, was sie nicht wissen. Janus’ Neuerung ist, dass die Patienten alle Empfindungen und Gefühle auch nichtsprachlich mitteilen dürfen und können und auch die tiefsten und ältesten Formen individuellen menschlichen (Un-)Bewusstseins eine Resonanz erfahren können.
Janus macht es uns nicht leicht. Manche seiner Schüler möchten eigentlich nicht die Konsequenzen ziehen, wenn man seine Theorie zu Ende denkt. Manche seiner Schüler hätten sich manche Erkenntnis über eigene frühe Traumata lieber erspart, zugleich aber wissend, dass sie ohne diese Erkenntnisse ihre Forscherkraft, ihre Gesundheit und therapeutische Freiheit nie hätten entwickeln können. Die vielen Danksagungen zu diesem Geburtstag sprechen für sich.
Es geht um nichts weniger als um diese historische Kette:
Kopernikus, Darwin, Freud – und eben in meiner Sicht Janus.
Es geht im Werk von Ludwig Janus, wie ich sagen möchte, um die vierte narzisstische Kränkung. Wie die drei Kränkungen zuvor wird auch diese vierte in der öffentlichen Rezeption zunächst so lange abgewehrt, so lange es irgendwie geht.
Die drei großen narzisstischen Kränkungen der letzten 500 Jahre bekommen also eine vierte Ergänzung und Fortführung:
Die Erde ist nicht der Mittelpunkt der Welt
Der Mensch ist eine Weiterentwicklung des Affen – er ist ein Tier
Der Mensch ist nicht Herr im eigenen Haus, sondern bestimmt durch sein Unbewusstes
Die vierte Kränkung: Es gab nie per se ein ozeanisches Einheitsgefühl, einen primären Narzissmus als Schutzraum, ein durchgängiges intrauterines Paradies – immer schon war der Lebenskampf/-genuß durchgängig – alle Mythen und Theorien über eine vollkommene Mutter-Kind-Symbiose vor und in der Geburt sind entweder traumagenerierte Rettungsillusionen oder reale Teil-Erinnerungen an tatsächliche wunderbar gelungene Beziehungsphasen im intrauterinen und extrauterinen ersten Jahr des menschlichen Lebens, die aber nicht selbstverständlich sind und waren.
Wo Freud sagte, dass die Beziehung zur Mutter wohl die einzige konfliktfreie Beziehung im Leben eines Menschen sei, sagte Rank schon, Freud habe die „böse Mutter“ nie gesehen. Wo Freud noch von „Mutterleibsphantasien“ sprach, sprach Rank schon von „Mutterleibsrealität“. Janus hat dies als die große Lakune in Freuds Denken und in der etablierten Psychoanalyse immer schon gesehen.
Wie bei den drei vorausgegangenen „Kränkungen“ geht es auch in der vierten narzisstischen Kränkung natürlich um eine Herausforderung zur Aufklärung und Reifung des Menschen.
Freud konstatierte, dass die Trauer über die Gefährdungen des menschlichen Lebens und die Trauer über die realen Verluste ein stärkerer Reifungsprozess ist als alle Formen der Verdrängung und Leugnung und religiösen Ver-brämung. Die „Ananke“ ist unerbittlich, aber sie ist noch unerbittlicher, wenn der Mensch nicht fortlaufend auch seine Trauerfähigkeit stärkt. Die Idee der Psychoanalyse war eine solche nachhaltige Stärkung im Leben des Menschen: Reflexionsfähigkeit über die eigene Psychodynamik gewinnen, die Muster zu erkennen, die Verletzungen wahrscheinlicher machen und reale Trauer zulassen lernen, statt zu verdrängen.
Ludwig Janus kann von sich behaupten, das Rätsel der Sphinx ganz gelöst zu haben. Während Freud noch im wesentlichen bei der Konfliktursache Ödipuskomplex blieb, was zu seiner Zeit schon revolutionär genug war, aber im Männlichen und Väterlichen verhaftet blieb, ging Rank 1924 mit dem „Trauma der Geburt“ einen entscheidenden Schritt weiter in die weibliche Tiefe des Menschseins und damit in die noch mächtigeren unbewussten Ursprünge menschlichen Fühlens, Denkens und Handelns. Janus geht noch einen weiteren Schritt in die Tiefe der menschlichen Seinsschichten zurück in die Mutterhöhle. Dass hier die mächtigsten Motivationen für das menschliche Schicksal liegen, blieb auch deswegen so lange ein Tabu, da die patriarchale Kultur ihre Angst vor dem Weiblichen mit aller traumagenerierten Wut und Unterdrückung ausagierte und damit auch die Angst sowohl vor der eigenen archaischen Ursprungskraft, wie auch vor den Bindungs-, Empathie- und Sanftheitsmöglichkeiten der eigenen weiblichen Seiten abspalten konnte.
Nicht zufällig beginnt die „verbeamtete“, und angepasst an neurobiologische Erkenntnisse gemütlich gewordene Psychoanalyse erst jetzt langsam diese große Lücke in Freuds Denken wahrzunehmen. Janus hat schon lange vor Joel Whitebook, der in seiner neuen Freud-Biographie (2017) diesen Umstand teilweise beschreibt, die Psychoanalyse auf diesen Mutter-Konflikt Freuds hingewiesen und sehr viel Abwehr und Ablehnung erfahren müssen. Janus erinnert die Psychoanalyse fortlaufend an ihre Zukunft!
Janus hat mit seinen vielfältigen Schriften zur Prä- und Perinatalen Psychologie unseren Blick geweitet für die eigentliche Integrationsebene der Verbindung des Männlichen und Weiblichen in der kulturellen Evolution:
– als Therapeut (Arzt, Psychoanalytiker, Lehranalytiker)
– als Wissenschaftler (Pränatal fundierte Psychologie und Psychotherapie)
– als Kulturwissenschaftler (Psychohistoriker, Geschichtsphilosoph).
Der von Freud und anderen begonnene kulturelle Erkenntnisprozess, dass das gesamte menschliche Handeln nur verstanden und in liebevollere, friedlichere und demokratischere Bahnen gelenkt werden kann durch das Verständnis der emotionalen Natur des Kindes und seiner Mutter- und Vaterbindung hat seine Wurzeln ja bereits in der Aufklärung. Die Weiterentwicklung dieses Ver-ständnisses geschah durch die Ausweitung psychotherapeutischen Handelns in den letzten einhundert Jahren. Diese therapeutische Kultur, die sehr diskret einen wichtigen Anteil an der unbestreitbar zunehmend friedlicheren Ent-wicklung der Welt hat, hat ihrerseits sozusagen eine progressiv-regressive ontogenetische Reifung durchlaufen, traumageneriertes Leid, Erkrankung, Todes- und Zerstörungswünsche immer deutlicher zurückführen zu können auf die emotionalen Bindungsprozesse der immer früheren Kindheit bis zur Pränatal- und perikonzeptionellen Zeit und auf transgenerationale Bindungs- und Beziehungsprozesse.
Janus’ außerordentliches Verdienst ist die Sammlung und Zusammenführung vieler wissenschaftlicher, ärztlicher, psychoanalytischer und psycho-therapeutischer Bemühungen des 20. und 21. Jahrhunderts, und des weiteren die Kernätiologie fast sämtlicher somatischer und psychischer Pathologien, zum Teil oder gänzlich auf die bio-psycho-sozialen Prozesse der Schwanger-schaft herauszukristallisieren. In der Epigenetik der Schwangerschaft ist dies von der biologischen Perspektive her klar geworden, in der Psychologie und Psychotherapie durch Janus und andere. Darüber hinaus hat er dieses Wissen kulturtheoretisch und geschichtsphilosophisch erweitert und ist zu seiner Theorie „Homo foetalis et sapiens“ gelangt. Ich glaube, Lutz, wir können Deine Gesamtleistung in aller Kürze so am besten bezeichnen: diese Pränatale Psychologie ist eine Ontologie der Liebe!
Freud lehrte uns, dass unliebsame Erinnerungen eher verdrängt werden, die affektiven Motive unseres Handelns aber kaum kontrollierbar gespeist werden auch aus eben diesen unliebsamen Ereignissen unseres Lebens, so dass wir als Individuen wie auch als Kollektiv immer wieder in der Gefahr stehen, traumatische Situationen zu (re-) inszenieren. Man kann behaupten, dass die Menschheit als Ganzes immer noch in der Gefahr steht, im Wiederholungs-zwang gefährliche Situationen heraufzubeschwören, da die durchschnittliche individuelle posttraumatische Belastungsstörung aus historischen Desastern nicht geheilt ist. Gemeint sind sowohl familiengeschichtliche Traumata wie auch kollektive historische Ereignisse, durch die Familien traumatisiert wurden.
Die Menschheit hat tatsächlich Unerhörtes durchlitten und aber auch Unerhörtes geleistet. Die kollektive posttraumatische Belastung aus den Traumata der nature-made-desaster und der man-made-desaster der letzten 10.000 Jahre der Kulturgeschichte alleine reichen aus, die Diagnose der kollektiven PTBS zu stellen. Sie erklärt die scheinbar unsinnigen Aspekte menschlichen Handelns hinreichend. Alleine im 20. Jahrhundert sind ca. 200 Millionen Menschen autokratischen Systemen zum Opfer gefallen, die in ihrer paranoiden Angst ein Heil nur darin entdecken konnten, andere Menschen zu verfolgen, zu entmenschlichen, zu foltern und zu töten. Die massive Projektion der Mordswut des „ungewollten und ungeliebten“ Menschheitsanteils auf andere Gruppen und Menschen wurde hier, wie in allen historischen Grausamkeiten, noch einmal sehr deutlich. Kaum ein Denker hat so wie Janus die Tiefe der Ursprünge menschlicher destruktiver Aggression herausgearbeitet und in bestehendes Wissen integriert.
Auch Umweltzerstörung ist ein Symptom kollektiver Autoaggression und suizidaler Tendenz. Janus gehört mit zu den wenigen großen Denkern, die im ungelösten Mutterkonflikt der bisherigen therapeutischen Kultur auch die mögliche Gefährdung der „Mutter Erde“ zurückführt auf die Abwehr gegen-über den vorsprachlichen, aber besonders den prä- und perinatalen Traumata. Sein Kampf, und man muss es so bezeichnen, gegen die institutionalisierte Abwehr der orthodoxen Psychoanalyse gegen die allererste Vater-Mutter-Kind-Beziehungsmatrix, die sich in Konzeption, Schwangerschaft und Geburt formt und vollzieht, ist mittlerweile legendär.
Anthropotechnisch gesehen arbeitet Janus an einer großen Erzählung des Humanen, die an die Fähigkeit des Menschen zur Kreativität, zur Selbst-erschaffung und Neuschöpfung erinnert, die an einem Menschenbild arbeitet, das kapitalistische Nivellierung und Reduktion, kybernetische Schein-komplexität und prothetische, athletische und kosmetische Selbstoptimierung (Slotderdijk) kritisch hinterfragt und geistige und beziehungs- und bindungspsychologische Kompetenz als entscheidende Komponente menschlicher Weiterentwicklung sieht.
Drei Hauptleistungen können wir benennen:
1. In jeder Therapie, aber auch in der Psychodynamik eines jeden menschlichen Lebens steht die zentrale Frage im Raum: werde ich geliebt und kann ich lieben….oder bin ich gewollt und will ich das Leben…..diese Fragen bedürfen letztlich des Containings eines kompletten Ontogenesebildes: die volle analytische Situation, wie Rank dies nannte.
Die Angst des Menschen vor der Liebe ist letztlich nur zu verstehen, wenn die allererste Triangulation anamnestisch und diagnostisch-ätiologisch verstanden wird. Die Angst vor der Verschmelzung mit dem Objekt rührt ja daher, dass es um die Angst geht, dabei verloren zu gehen, unterzugehen, aufgesogen zu werden, geopfert zu werden. Dies sind aber alles Bilder der Gefährdungen in der pränatalen Beziehung – der prä- und perikonzeptionellen ebenso wie der prä- und perinatalen Beziehung und Bindung und den dahinter stehenden transgenerati-onalen Traumata. Janus ist einer der wichtigsten Denker dieses ontologischen Grundproblems jeder menschlichen Existenz – eines Urmangels (Balint) in einem neuen Sinne. Es geht nicht nur um die Spannung des Nichtzueinanderpassens der Eltern, sondern um die konkreten „fleischwerdenden“ Ebenen des Ungewolltseins. Er hat damit implizit eine umfassende bio-psycho-soziale Therapie begründet und erinnert die Psychoanalyse fortwährend an ihre Zukunft, die sie dabei ist zu verspielen.
2. Janus hat dieses Wissen nicht nur psychotherapeutisch praktiziert, publiziert und gelehrt, sondern es auch fruchtbar gemacht für philosophische und psychohistorische, soziologische und anthropologische Denkebenen.
Er setzt damit die reiche therapeutische und kulturwissenschaftliche Tradition der Psychoanalyse nicht nur fort, sondern erweitert sie über die Postmoderne hinaus in Aspekte einer zweiten Aufklärung.
3. Psychologie als Beziehungslernen und nicht als biologisch-medizinisches Ingenieurswissen bedeutet in der ontogenetisch umfassenden Pränatalen Psychologie besonders aber die Geschlechterdifferenz und –spannung wahr- und ernstzunehmen und über pubertäre Anteile der Genderdiskussion hinaus wieder zu den eigentlichen ontologischen, evolutionären und anthropologischen Grundlagen und Potentialen der triangulären Menschheitsursprünge zu kommen.
Ein Schlüsselbegriff des Werkes von Ludwig Janus ist der Begriff der „Verantwortung“. Ein starkes Movens seiner Arbeit ist die Forschung nach den Möglichkeiten und Unmöglichkeiten Verantwortung zu übernehmen.
Es hat ihn immer umgetrieben, warum Menschen offensichtlich verrückte Taten tun, warum sie sich selbst und andere schädigen und warum dies oft auch noch „gut“ begründet wird und wurde.
Als Arzt und Analytiker war für ihn klar, dass er durch die Lehrmeinungspathologien hindurch Neues und Weiteres erforschen muss, damit mehr Heilung gelingt, individuell und gesellschaftlich.
Janus ist ein freundlicher und zugewandter Arzt, der ernst genommen hat, was den „Skandal Freud“ eigentlich ausmachte und immer noch ausmacht: dass ein Arzt anfing den Menschen zuzuhören!
Die Erweiterung der Empathie aber ist ein schwieriges Geschäft. Denn Empathie macht Angst. Viele Patienten müssen erst lernen, dass ihnen wirklich zugehört wird, ohne Hintergedanken, ohne Machtdrohung, ohne Missbrauch, ohne autoritäre Übergriffigkeit. Dass es wirklich so etwas geben kann wie Achtsamkeit, Vertrauen, Wahrhaftigkeit, Rhythmus und Konstanz. Diese Grundebenen von Bindung und Beziehung müssen viele Patienten erst lernen anzunehmen und ihnen Tragfähigkeit zubilligen zu können.
So ist es verständlich, dass Janus immer weiter gefragt hat, wo und wann denn die Basis von Bindung und Beziehung beginnt, gelernt wird und in ihren Grundstrukturen sich festigt.
Seine erste Veröffentlichung beschäftigt sich 1972 nicht zufällig mit: „Persönlichkeitsstruktur und Psychodynamik bei dermatologischen Artefakten.“ (Z psychosom Med 18: 21-28)
Selbstverletzungen als ein häufiges Symptom bei Patienten:
In der Mehrzahl handelt es sich hierbei um so genannte Borderline-Patienten, Patienten mit deutlichen Persönlichkeitsstörungen, einer Suchtproblematik oder nicht verarbeiteten Missbrauchserfahrungen. Definitionsgemäß gehört die Heimlichkeit, das bewusste Verschweigen über die Zusammenhänge der dermatologischen Symptome, zu dem zentralen Wesen des Artefaktes.
Von hier ist es ein direkter Weg zur Pränatalen Psychologie wenn man das Staunen nicht verlernt hat über selbstschädigendes Verhalten von Menschen und auch Kollektiven. Denn es handelt sich um die Grundfrage, wo das alles seinen Ausgang nimmt.
Die Erweiterung der Empathie im Werk von Ludwig Janus ist letztlich immer wieder der Versuch einen liebevollen Blick auf den Patienten, auf das Menschsein und auch auf die Menschheit nicht zu verlieren. Psychohistorisch gesehen sind Umweltzerstörungen erweiterte „dermatologische Artefakte“: als die kollektive ungelöste Wut auf die Mutter, die für das Kind nicht reif war.
Es geht um die Forschung nach dem Generalbaß des Lebens:
Janus ist 1939 geboren, kurz vor Ausbruch des 2. Weltkriegs. Er ist Kind der Generation, die das bisher größte Gemetzel der Menschheitsgeschichte veranstaltet hat. Er hat als Baby und Kind, als Jugendlicher und junger Mann in der Atmosphäre dieses psychotischen Ausbruchs gelebt, der ja 1945 nicht einfach vorbei war, und ohne Zweifel von Beginn an im Zweifel mehr Fragen gestellt als viele andere seiner Generation.
Z.B. die Frage, woher Fremd- und Selbstaggression eigentlich ihren Ursprung haben, wenn man sie nicht abwehrend als anthropologische Konstante hinnimmt oder beschwichtigend multifaktoriell zerredet.
Ich kann hier nicht alle Wege und Nebenwege des Jubilars nachzeichnen, das ist Aufgabe einer noch zu schreibenden Biographie, auf denen er zu dem großen Pionier der Pränatalen Psychologie wurde, den wir heute feiern und ehren möchten.
Meines Erachtens kongenial zu Sigmund Freud ist er einer der wesentlichen Fortsetzer und Erweiterer der Ideen der Freud-Generation. Und es ist klar, dass man die Psychoanalyse nicht den ängstlich-orthodoxen Kirchen der heutigen Psychoanalyse überlassen darf.
Ein Fundamentalismus-Vorwurf geht fehl. Denn es geht nicht um die vollständige Erklärung individueller Existenz, sondern um die Anerkennung, dass uns mit jedem Menschen nicht nur seine Geschichte seit seiner Konzeption entgegentritt, die vollständig in seinem Körper sedimentiert ist, sondern auch die Geschichte seiner Familie über Generationen hinweg. Die „volle analytische Situation“ nach Rank meint die Notwendigkeit hinter allen Störungen, Beschwerden und Nöten des Individuums den Kern der traumatischen Geschichte seines Familiensystems zu erkennen, also das spezifisch Lebensverneinende, um das herum sich körperliche und psychische Pathologien gruppieren. Es geht also nicht um ein „Durchschauen“ einer gesamten Persönlichkeit, sondern um ein umfassenderes Menschenbild, das therapeutisch einen größeren Resonanzraum ermöglicht und dem einzelnen Menschen eine potenziell größere kreative Salutogenese zutraut, als andere niederschwellige therapeutische Angebote es leisten können.
Historiker, Ökonomen, Soziologen, Politiker hören immer dort auf zu fragen, wo es um den eigentlichen Ursprung destruktiver Aggression des Menschen geht. Janus hat und hatte den Mut immer weiter zu fragen. Seine vielen Patienten fanden in ihm einen Arzt und Therapeuten, der bereit war, ihren Entwicklungsgang zu begleiten und exemplarisch das Schicksal der Menschheit in jedem Individuum anzuerkennen.
Dies ist der Kern zukünftiger emanzipatorisch-demokratischer Leistungen: individuell und kollektiv fähig zu werden, an dem frühen und frühesten Kindheitsschmerz zu arbeiten, statt ihn projizieren und ausagieren zu müssen. Und demzufolge auch die multidisziplinäre Prophylaxe entscheidend voranzutreiben im Sinne einer allgemeinen „Immunologie“.
Lieber Lutz, wir wünschen Dir noch viele gesunde Jahre für Deine öffnende und weitende Arbeit!
Einführung (Helga Fink)
Lieber Lutz, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Festgäste!
Ich freue mich sehr, dass Du, Klaus, mich gebeten hast, Dir bei der Moderation des Symposiums zur Seite zu sein – nicht, weil Du es nicht allein könntest, sondern weil es in unserer Kooperation im Kontext der Weiterbildung „Frühe Verletzungen können heilen“, die wir nun schon seit 6 Jahren inzwischen in der 4. Gruppe an der Hochschule für Kunsttherapie (HTK) durchführen, im Wesentlichen darum geht, eine männlich-weiblich kreative und dialogische Spannung als Elternpaar in der Gruppe zu verkörpern, damit ein heilender Raum entsteht für die zahlreichen Beziehungsverletzungen und Bindungstraumatisierungen, die viele Menschen in sich tragen. Dies ist uns besonders wichtig geworden in einer Zeit, in der eine nie dagewesene Verwirrung in Geschlechterfragen in der Gesellschaft herrscht.
Was meine ich mit männlich-weiblicher kreativer und dialogischer Spannung? Ich will mein Verständnis kurz erläutern, weil ich dies für entscheidend halte für eine heilende psychotherapeutische Arbeit, die sich den frühen Verletzungen zuwendet als auch für die Zukunft unserer Arbeit in der InternationaI Society for Prenatal and Perinatal Psychology and Medicine (ISPPM) und unseres Anliegens in der heutigen Gesellschaft und dieser Zeit.
Im Vorgang der Zeugung, aus dem wir alle entstanden sind, entsteht neues Leben im besten Fall aus der Liebe zwischen zwei sehr unterschiedlichen Menschen, unterschiedlich nicht nur was ihre Persönlichkeiten betrifft, sondern vor allem, was ihre wesensmäßige und natürliche Verschiedenheit als zwei verschiedenartige Geschlechter angeht, eine Polspannung, aus der neues Leben entsteht: der Mann bringt die zeugende Hälfte des Geschehens ein und die Frau die empfangende Hälfte…und wie wir aus Forschungsbeobachtungen wissen, ist die Beziehungsqualität, die dabei eine Rolle spielt, die eines Tanzes eines Paares, der Eizelle und der Samenzelle, das unterschiedlicher kaum sein könnte: aus der Attraktion dieser beiden Pole und aus der Liebesenergie, die zwischen diesen fließt, entsteht neues Leben.
Ich meine, wir können diesen biologischen-seelisch-geistigen Vorgang der Zeugung paradigmatisch verstehen und auf die verschiedensten Lebensbereiche als auch auf die innerpsychische Dynamik übertragen: es war Erich Neumann, der als einer der wichtigsten Schüler C.G.Jungs über den schöpferischen Menschen schrieb…der Schöpferische Mensch, egal ob Mann oder Frau, kann nicht anders, als aus seinen inneren tiefsten Tiefen und höchsten Höhen zu schöpfen, und eine innere Bildwelt zuzulassen und zu verstehen versuchen, die dann zum Fundus seines kreativen Tuns wird. Dass ein kreativer Mensch damit offen sein muss für seine innere empfängliche weibliche Seite, die oftmals natürlich auch überschattet wird vom inneren Mutterbild, scheint offensichtlich; und zugleich braucht er männliche Initiative, Tatkraft und die Fähigkeit zur Strukturierung, um den unbewussten Impuls bewusst wahrzunehmen und in eine kommunizierbare Gestaltung zu formen. So spielt das Spiel der Zeugung sein Liebesspiel ständig innerpsychisch und zwischen Menschen…
Das ist der Nährboden, aus dem die Kunst entsteht, aber auch der Nährboden unserer Arbeit als Psychotherapeuten, denn durch eine produktive Introspektion finden unsere Patienten ihre tiefen Bilder aus der vorsprachlichen Zeit, die sie oft ein Leben lang in lebensfeindlichen neurotischen Schleifen gebunden haben.
Erfahrungen aus Schwangerschaft und Geburt prägen unser Lebensgrundgefühl und unsere Lebensgestaltung , dies in ihrer Tiefe und Tragweite zu verstehen und zu versprachlichen, dazu hast Du, lieber Lutz, in den vergangenen Jahrzehnten entscheidend beigetragen und ich möchte Dir an dieser Stelle als Frau besonders danken.
In Deinem Feld hast Du an verschiedenen Schaltstellen der Gesellschaft versucht, den zutiefst menschlichen Vorgängen eine Stimme zu geben, die sich im Körper einer Frau wesensmäßig anders, ja in vielen Aspekten polar vollziehen als in dem Körper eines Mannes, den Vorgängen, aus denen neues Leben wird: Zeugung, Einnistung, fötale Entwicklung im körper-seelischen Mutterleib und im seelischen Vaterleib, die Geburt als Initiation in ein neues Dasein und die erste Bindungszeit.
Als ich 1980 meine Tochter gebar, konnte ich mit großer Entschlossenheit volle Hebammenbegleitung in der Klinik und Rooming-in durchsetzen. Und dennoch erlebte ich am eigenen Leib, wie schwierig es war, den eigenen Selbstwert als Frau aufrechtzuerhalten, wenn der Beruf plötzlich nichts mehr zählte und ich „nur noch Mutter“ war, eine Aufgabe, die ich damals als Alleinerziehende, es war 1980, weitaus hausfordernder und nervenaufreibender empfand als alles, was ich zuvor gemacht hatte.
Inzwischen sind 40 Jahre vergangen.
40 Jahre, in denen Du mit hohem Einsatz und großer Leidenschaft daran gearbeitet hast, das Feld um Schwangerschaft, Geburt und erster Bindungszeit, das doch zunächst einmal ein Erfahrungsfeld der Frauen ist, mehr in das öffentliche Bewusstsein zu rücken:
….Dass eine Gesellschaft erkennen möge, dass das körperlich-seelisch-geistige Wohlergehen ihrer Mitglieder, vor allem auch Gesundheit oder Krankheit ihrer Mitglieder entscheidend von den Erfahrungen beeinflusst wird, die ein werdendes Wesen ab dem Moment der Zeugung im Mutterleib und seelisch gesprochen auch im Vaterleib und im Familienleib macht.
Eine zweite Aufklärung braucht Männer und Frauen, die verstandesmäßige Strukturen öffnen und Denkgrenzen überschreiten. Du hast in Adaption und Auseinandersetzung mit dem bereits Vorhandenen das Wissensgebiet strukturiert und um eindrücklich viele Beiträge erweitert. Damit hast Du ein großes Feld der Prä- und perinatalen Psychologie und Psychotherapie in unserem und auch im öffentlichen Bewusstsein bestellt, auf dem die nachfolgende Generation ihre Gedanken weiterführen, Initiativen entwickeln und in ihrem Lebenskontinuum individuelle Gestalt werden lassen können; die AG Psychotherapie der ISPPM war und ist in manchem Treffen ein beredtes Beispiel der bunten Vielfalt beeindruckender Werke ihrer Mitglieder, die, wenn wir uns darüber austauschen, was jedes Mitglied jeden Tag tut, dieses kostbare Gefühl hinterlässt, nicht allein an den Themen der Pränatalen Psychotherapie zu arbeiten.
Ich danke Dir, dass Du mit Deinem männlichen Logos und Deiner Initiativkraft das Bewusstseinsfeld dieser Gesellschaft gepflügt hast und weiter pflügst, damit Menschen aufwachen und die elementaren Zusammenhänge in denen Leben entsteht, neu sehen können und Frauen mit mehr Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen ihre weibliche Seite in diese Gesellschaft einbringen, vor allem auch die Seiten ihres Lebens, in denen sie am meisten Frau sind, in denen das Mysterium neuen Lebens in ihnen wächst und sich gebiert. Und ich wünsche jeder Frau, dass sie diese Erfahrung im Schutzraum einer liebevollen Beziehung mit einem Mann machen kann, in dem die Unterschiedlichkeit der Geschlechter geachtet und gewürdigt wird.